Am Weihnachtstage
von Annette von Droste-Hülshoff
Durch alle Straßen wälzt sich das
Getümmel,
Maultier, Kamele, Treiber: welch
Gebimmel!
Als wolle wieder in die Steppe ziehn
Der
Same Jakobs, und Judäas Himmel
Ein Saphirscheinen
über dem Gewimmel
Läßt blendend seine
Funkenströme sprühn.
Verschleiert' Frauen durch die Gassen schreiten,
Mühselig vom beladnen Tiere gleiten
Bejahrte
Mütterchen; allüberall
Geschrei und Treiben,
wie vor Jehus Wagen.
Läßt wieder Jezabel ihr
Antlitz ragen
Aus jener Säulen luftigem
Portal?
's ist Rom, die üpp'ge Priesterin der
Götzen,
Die glänzendste und grausamste der
Metzen,
Die ihre Sklaven zählt zu dieser Zeit.
Mit einem Griffel, noch von Blute träufend,
Gräbt sie in Tafeln, Zahl auf Zahlen häufend,
Der Buhlen Namen, so ihr Schwert gefreit.
O Israel, wo ist dein Stolz geblieben?
Hast du die
Hände blutig nicht gerieben,
Und deine Träne,
war sie siedend Blut?
Nein, als zum Marktplatz deine
Scharen wallen,
Verkaufend, feilschend unter Tempels
Hallen;
Mit ihrem Gott zerronnen ist ihr Mut!
Zum trüben Irrwisch ward die Feuersäule,
Der grüne Aaronsstab zum Henkerbeile,
Und
grausig übersteint das tote Wort
Liegt, eine
Mumie, im heil'gen Buche,
Drin sucht der Pharisäer
nach dem Fluche,
Ihn donnernd über Freund und
Fremdling fort.
So, Israel, bist du gereift zum Schnitte,
Wie
reift die Distel in der Saaten Mitte;
Und wie du stehst
in deinem grimmen Haß
Genüber der geschminkt
und hohlen Buhle,
Seid gleich ihr vor gerechtem
Richterstuhle,
Von Blute sie und du von Geifer
naß.
O tauet, Himmel, tauet den Gerechten!
Ihr Wolken,
regnet ihn, den wahr und echten
Messias, den Judäa
nicht erharrt!
Den Heiligen und Milden und
Gerechten,
Den Friedenskönig unter
Hassesknechten,
Gekommen zu erwärmen, was
erstarrt!
Still ist die Nacht; in seinem Zelt geborgen
Der
Schriftgelehrte späht mit finstren Sorgen,
Wann
Juda's mächtiger Tyrann erscheint.
Den Vorhang
lüftet er, nachstarrend lange
Dem Stern, der
gleitet über Äthers Wange,
Wie
Freudenzähre, die der Himmel weint.
Und fern vom Zelte über einem Stalle,
Da
ist's, als ob aufs niedre Dach er falle;
In tausend
Radien sein Licht er gießt.
Ein Meteor, so dachte
der Gelehrte,
Als langsam er zu seinen Büchern
kehrte.
O weißt du, wen das niedre Dach
umschließt?
In einer Krippe ruht ein neugeboren
Und
schlummernd Kindlein; wie im Traum verloren
Die Mutter
kniet, Weib und Jungfrau doch.
Ein ernster, schlichter
Mann rückt tief erschüttert
Das Lager ihnen;
seine Rechte zittert
Dem Schleier nahe um den Mantel
noch.
Und an der Türe stehn geringe Leute,
Mühsel'ge Hirten, doch die Ersten heute,
Und in
den Lüften klingt es süß und lind,
Verlorne Töne von der Engel Liede:
Dem
höchsten Ehr' und allen Menschen Friede,
Die eines
guten Willens sind!