Am vierten Sonntage im Advent
von Annette von Droste-Hülshoff
Fragst du mich, wer ich bin? Ich berg' es nicht:
Ein Wesen bin ich sonder Farb' und Licht.
Schau mich
nicht an; dann wendet sich dein Sinn;
Doch höre,
höre, höre! denn ich bin
Des Rufers in der
Wüste Stimme.
In Nächten voller Pein kam mir das Wort
Von
ihm, der Balsam sät an Sumpfes Bord,
Im Skorpion
der Heilung Öl gelegt,
Dem auch der wilde Dorn die
Rose trägt,
Der tote Stamm entzündet sein
Geglimme.
So senke deine Augen und vernimm
Von seinem Herold
deines Herren Grimm,
Und seine Gnade sei dir auch
bekannt,
Der Wunde Heil, so wie der schwarze Brand,
Wenn seiner Adern Bluten hemmt der Schlimme.
Merk auf! Ich weiß es, daß in härtster
Brust
Doch schlummert das Gewissen unbewußt;
Merk auf, wenn es erwacht; und seinen Schrei
Ersticke
nicht, wie Mutter sonder Treu'
Des Bastards Wimmern und
sein matt Gekrümme!
Ich weiß es auch, daß in der ganzen Welt
Dem Teufel die Altäre sind gestellt,
Daß
Mancher kniet demütig nicht gebeugt;
Und
überm Sumpfe engelgleich und leicht
Der
weiße Lotos wie ein Kindlein schwimme.
Es tobt des tollen Strudels Ungestüm,
Und
zitternd fliehen wir das Ungetüm;
Still liegt der
Sumpf und lauert wie ein Dieb:
Wir pflücken
Blumen, und es ist uns lieb
Zu schaun des Irrlichts
tanzendes Geflimme.
Drum nicht vor dem Verruchten sei gewarnt;
Doch
wenn dich süßer Unschuld Schein umgarnt,
Dann lächelt der Vampyr, dann fahr' zurück
Und senke tief, o tief in dich den Blick,
Ob leise
quellend die Verwesung klimme!
Ja, wo dein Aug' sich schaudernd wenden mag,
Da
bist du sicher mindestens diesen Tag;
Doch gift'ger
öfters ist ein Druck der Hand,
Die weiche
Träne und der stille Brand,
Den Lorbeer treibend
aus Vulkanes Grimme.
Ich bin ein Hauch nur; achtet nicht wie Tand
Mein
schwaches Wehn, um dess, der mich gesandt.
Erwacht,
erwacht! Ihr steht in seinem Reich;
Denn sehet, er ist
mitten unter euch,
Den ihr verkennt, und ich bin seine
Stimme!